Freitag, 2. Mai 2008

BONBONNIÈRE (13)

Die Deutschen sind zu fett. Die Gründe dafür liegen auf der Hand, es wird zu viel, zu fettig, vitaminarm und einseitig, einfach so auf die Schnelle gegessen und nebenbei ist uns, den Deutschen, die Bewegungsfähigkeit – oder wenigstens der Wille dazu – ganz abhanden gekommen. Dabei könnte es doch alles so einfach sein. Ein bisschen gesundes Essen hier, ein wenig Bewegung dort und schwups steigen wir in den Dicken-Rankings ab. Es ist doch so simpel, geradezu banal, sich gesund, ausgewogen, vitaminreich und fettarm zu ernähren. Oder nicht?

Mutige Vorkämpfer gegen das fettige Übel sind schon lange nicht mehr die Wunder wirkenden Mittelchen der Diätindustrie, denn diese kamen über die Jahre in Verruf und werden zwar in Mengen, dafür aber heimlich eingenommen. Vielmehr bemühen sich Lebensmitteldesigner, mit speziell entwickelten Produkten das Wohl des modernen Menschen auch in einer noch so schnellen und hochtechnologisierten Welt zu erhalten. Früh fängt diese sorgfältige Fürsorge der Industrie an, und damit der Einstieg in den Ausstieg aus der selbst bestimmten und selbst zubereiteten Nahrung. Der Mensch entfremdet sich zunehmend schneller seines Essens.

Mit der Fertigmilch „Mutterbrust“ kann die gut informierte Frau die optimale (eigentlich optimalere als die natürlich gegebene) Versorgung des Säuglings käuflich erwerben – der wahrscheinlich schönste Effekt ist eine zunehmende Geschlechtergleichberechtigung, denn nun kann endlich auch der Papa zum eigentlichen „Ernährer“ werden. Entspringt man dem zarten Babyalltag mit all seinem Babbel-Krabbel-Komfort (der das anstrengende Kauen von Dingen noch mit einschloss), gibt es ausreichend Kinderprodukte, die genug gesunde Süße enthalten und deren Verpackungen bunt genug aus den Regalen hervorstechen, um Kindern zu schmecken und zu gefallen. Wir sollen eben weiterhin auf den Geschmack des Guten kommen.

Im Jugendalter dann wird ein Schönheitsideal aufgebaut, das, wer hätte es gedacht, am besten und eigentlich fast ausschließlich mit den Super-Beauty-Produkten erreicht werden kann, denn „auch äußere Schönheit kommt von innen“. Schöne neue alte Erkenntnis. Der gestresste Arbeitende kann sich durch den Genuss von trinkfertig püriertem Frucht-Vitamin-Ballaststoff-Mineralien-Zeug nun endgültig optimal versorgen und für die Zukunft vorbereiten, denn irgendwann können wir eben nicht mehr kauen. Wie gut, dass wir in diesem Alter dann dem festen Essen eh schon abgeneigt sind, da die fertig pürierten Obst- und Gemüseportionen uns die Überzeugung vermittelt haben, dass kauen erstens der Zahngesundheit schadet und zweitens der Verzehr eines Apfels (unpüriert) viel zu lange dauert. Außerdem wiegt uns der Genuss von Fruchtpüree doch irgendwie in der vertrauten Sphäre der Kleinkindheit, damals, als die Welt noch gut und die Deutschen gesund waren.

Kennen Sie eigentlich noch Yakult? Eines der ersten Wohlfühlgetränke. Nein? Gesunde Ernährung scheint eben doch genauso trendy und kurzlebig zu sein, wie vieles andere auch. Industrie verlangt eben nach ständiger Innovation und der Kunde nach neuen Reizen. Zuletzt ein Trost an alle, die immer noch die Butter selbständig aufs Brot schmieren: Im Barock hätte man die neuen Körperformen bestimmt nicht bemängelt. (av)

DAS_PROJEKT

Was die von der SZ machen, können wir auch. Warum nicht selbst 'Streiflichter' schreiben? Die BONBONNIÈRE musste also her - der Spielplatz für Gelegenheitsweltliteraten. Eine Dose voller Bon[n]bons und Bon[n]mots, jeden Freitag neu, verfasst von überambitionierten Autorinnen und Autoren aus Bonn und der Welt.

DIE_AUTOREN

Die jeweiligen Autorinnen und Autoren verbergen sich hinter dem Kürzel in den Klammern am Ende des Textes. Wer das ist steht hier:
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'BONBONNIÈRE_ Der Spielplatz für Gelegenheitsweltliteraten' wird herausgegeben von marc holzenbecher, Bonn

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Zuletzt aktualisiert: 21. Mai, 18:17

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