BONBONNIÈRE (16)
Netzer, Vogts und Heynckes Jupp, holen den Europa Cup, so lautete einst das Loblied auf die Fohlenelf – und sie holten ihn, zweimal: Die Generation meiner Eltern erlebte eine einmalige Erfolgsgeschichte mit der Borussia aus Mönchengladbach.
Meine erste Erfahrung mit der Borussia dagegen war eine andere. Ich war neun, als ich vor dem Fernseher mit ansehen musste, wie Kalle Pflipsen und Holger Fach nicht das Tor, sondern den Torwart des Zweitligisten Hannover 96 trafen. Das war 1992, Elfmeterschießen im Pokalfinale. Die Spieler schleppten sich in ihren traditionsfarbenen Trikots über den Platz als seien es Gewichtswesten, am Ende verlor man 3:4. Thomas Kastenmaier, dessen Spielweise so grobschlächtig war wie sein Name es vermuten lässt, bezeichnete die Niederlage, der 120 tor- und trostlose Minuten vorhergingen, als „Katastrophe von Anfang an“. Er wusste nicht, dass er mit diesen Worten auch exakt umriss, was die Borussia einem jungen Fan zu bieten hatte. Am Anfang war die Katastrophe, und es sollte so weitergehen. Was folgte waren jahrelanger Abstiegskampf und Zweite Liga.
Wer heute ins Stadion geht, traut seinen Augen kaum: Borussia hat souverän den direkten Wiederaufstieg geschafft, seit dem 7. Oktober und damit seit 25 Spieltagen steht der VfL an der Spitze der Tabelle – ein Bild, an das man sich erst gewöhnen musste. Manch einer dreht instinktiv die Tabelle um 180 Grad und sorgt so für gewohnte Verhältnisse: Borussia ganz unten – so kennen wir es! Und so wie es einem in der Fremde stets unbehaglich ist, fühle ich mich mit dem plötzlichen Erfolg der Borussia denkbar unwohl.
Was konnte man doch über Gladbach lamentieren! Wie herrlich schimpfen über Millioneneinkäufe, die nicht trafen, Trainerentlassungen und Niederlagenserien. Mit einer rekordverdächtigen Auswärtsschwäche – 3 Siege in 51 Spielen auf fremdem Platz (!) – konnte man gar bei gegnerischen Fans angeben. Da das Scheitern oft ebenso grandios war wie einst die Siege, schimpfte man nicht ohne Stolz auf Gladbach. Wenn man schon keine Bewunderung hervorrief – das Mitleid der Fußballwelt war einem gewiss. Endlich war man wieder der berühmte Gegenentwurf zum großen FC Bayern: Wo die Münchener siegten, verloren wir, für jedes Tor das Bayern schoss bekamen wir eins rein, wenn sie ganz oben standen waren wir ganz unten. Und das geteilte Leid verband die Menschen der Stadt: Mönchengladbach, die Provinz im Niedergang, identifizierte sich mit einem Verein, der scheiterte, wie so viele Menschen in unserer Zeit. Einmal wünschte ich mir, Tocotronic möge vor dem Anpfiff im Stadion spielen: Mein Ruin ist mein Triumph. Doch dann startete die Borussia eine bemerkenswerte Erfolgsserie.
Bleibt nun alles anders? Muss ich mich nach 15 Jahren jetzt wirklich an Auswärtssiege gewöhnen? Ich denke nicht. Echte Fans verkünden bereits, nach der EM beginne der Abstiegskampf. Die Katastrophe wird weitergehen, denn dafür ist man Gladbach-Fan. (mh)
Meine erste Erfahrung mit der Borussia dagegen war eine andere. Ich war neun, als ich vor dem Fernseher mit ansehen musste, wie Kalle Pflipsen und Holger Fach nicht das Tor, sondern den Torwart des Zweitligisten Hannover 96 trafen. Das war 1992, Elfmeterschießen im Pokalfinale. Die Spieler schleppten sich in ihren traditionsfarbenen Trikots über den Platz als seien es Gewichtswesten, am Ende verlor man 3:4. Thomas Kastenmaier, dessen Spielweise so grobschlächtig war wie sein Name es vermuten lässt, bezeichnete die Niederlage, der 120 tor- und trostlose Minuten vorhergingen, als „Katastrophe von Anfang an“. Er wusste nicht, dass er mit diesen Worten auch exakt umriss, was die Borussia einem jungen Fan zu bieten hatte. Am Anfang war die Katastrophe, und es sollte so weitergehen. Was folgte waren jahrelanger Abstiegskampf und Zweite Liga.
Wer heute ins Stadion geht, traut seinen Augen kaum: Borussia hat souverän den direkten Wiederaufstieg geschafft, seit dem 7. Oktober und damit seit 25 Spieltagen steht der VfL an der Spitze der Tabelle – ein Bild, an das man sich erst gewöhnen musste. Manch einer dreht instinktiv die Tabelle um 180 Grad und sorgt so für gewohnte Verhältnisse: Borussia ganz unten – so kennen wir es! Und so wie es einem in der Fremde stets unbehaglich ist, fühle ich mich mit dem plötzlichen Erfolg der Borussia denkbar unwohl.
Was konnte man doch über Gladbach lamentieren! Wie herrlich schimpfen über Millioneneinkäufe, die nicht trafen, Trainerentlassungen und Niederlagenserien. Mit einer rekordverdächtigen Auswärtsschwäche – 3 Siege in 51 Spielen auf fremdem Platz (!) – konnte man gar bei gegnerischen Fans angeben. Da das Scheitern oft ebenso grandios war wie einst die Siege, schimpfte man nicht ohne Stolz auf Gladbach. Wenn man schon keine Bewunderung hervorrief – das Mitleid der Fußballwelt war einem gewiss. Endlich war man wieder der berühmte Gegenentwurf zum großen FC Bayern: Wo die Münchener siegten, verloren wir, für jedes Tor das Bayern schoss bekamen wir eins rein, wenn sie ganz oben standen waren wir ganz unten. Und das geteilte Leid verband die Menschen der Stadt: Mönchengladbach, die Provinz im Niedergang, identifizierte sich mit einem Verein, der scheiterte, wie so viele Menschen in unserer Zeit. Einmal wünschte ich mir, Tocotronic möge vor dem Anpfiff im Stadion spielen: Mein Ruin ist mein Triumph. Doch dann startete die Borussia eine bemerkenswerte Erfolgsserie.
Bleibt nun alles anders? Muss ich mich nach 15 Jahren jetzt wirklich an Auswärtssiege gewöhnen? Ich denke nicht. Echte Fans verkünden bereits, nach der EM beginne der Abstiegskampf. Die Katastrophe wird weitergehen, denn dafür ist man Gladbach-Fan. (mh)
mh. - 23. Mai, 01:40