BONBONNIÈRE (9)

Gesetze sind nicht für die Ewigkeit. In diesen Tagen möchte man dem chinesischen Sprichwort direkt zustimmen; man denke nur an das Nichtraucherschutzgesetz in Bayern, das so schnell gelockert wurde, dass die Zigaretten dort schon wieder brannten, kaum dass der letzte Qualm aus den Wirtshäusern verzogen war.

Diese legislative Kurzlebigkeit könnte bald die Regel werden – schuld daran ist das Sunset-Law. Darunter versteht man ein Gesetz, das nur eine gewisse Zeit gültig ist und als aufgehoben gilt, sofern es nicht „im Morgengrauen“ erneuert oder bestätigt wird. Man muss sich das vorstellen als eine Art Gesetzestext mit Verfallsdatum, der wie ein Joghurt einer Überprüfungsnotwendigkeit unterliegt, ist der Tag des Mindesthaltbarkeitsdatums erreicht.

Manch einem Gesetz würde ein „Sonnenuntergang“ zweifellos gut zu Gesichte stehen: Eine Mehrwertsteuererhöhung vorerst für drei Jahre? Das wäre ein Deal. Ein Flugzeugabschussgesetz, das nach zuvor festgelegter Frist mitsamt dem verantwortlichen Minister vom Himmel fällt? Gut, dafür haben bereits umsichtige Richter gesorgt. Studiengebühren, die ihre Legitimität verlieren, wenn ihr Segen für die Universitäten dieses Landes nicht nach einer gewissen Zeit spür- und messbar ist? Ach!

Eine Sunset-Legislation ist offenbar nicht in allen (Gesetzes-)Lagen realistisch – in manchen auch schlicht nicht wünschenswert: Nicht auszudenken die möglichen Konsequenzen einer „Deutschen Sunset-Einheit“! Und ein Sunset-Bonn-Berlin-Gesetz hätte aus der Führung des Landes auf unbestimmte Zeit eine Jetset-Regierung gemacht. (Allerdings hätte Schäuble dann sein Flugzeug-Gesetz wohl in der Schublade gelassen.) Auch wird das Sunset-Prinzip sicher nicht so schnell auf andere Lebensbereiche übertragbar sein. Falschparkern und Führungspersonen mit Konto in Liechtenstein sei gesagt, dass was für Gesetze gilt, vorerst nicht auf Strafzettel, Steuerbescheide oder Haftbefehle angewandt werden kann. Enttäuschen muss man an dieser Stelle auch einige Liberale, die bereits vom Sunset-Sozialstaat träumen.

Was das Sunset-Prinzip zusätzlich so relevant erscheinen lässt, ist seine Rolle als Symptom unserer Zeit und einer Welt, in der nichts mehr von Dauer ist. Ist das Sunset-Law nicht vor allem ein Kind unserer Wegwerfgesellschaft, in der Konsumption alles und Bewahren nichts ist, wo unsere käuflich erworbene Dingwelt in zyklischen Bewegungen in den Supermülleimer der Moderne wandert? Leben wir nicht überhaupt in einer Sunset-Gesellschaft; gehen nicht irgendwann immer die Sonne unter oder zumindest die Lichter aus?

Im Grunde ist der Mensch mit allem Ewigen seit jeher überfordert. Woody Allen spricht aus, was jeder weiß, der den unbefristeten Bund der Ehe eingegangen ist: Die Ewigkeit dauert lange, besonders gegen Ende. So ist es nur konsequent, dass Frau Landrätin Pauli vor einiger Zeit die Sunset-Ehe ins Gespräch gebracht hat: Warum nicht die Ehe, oder genauer, den Ehepartner, nach sieben Jahren einer Überprüfung unterziehen?

Wer all dies zum Anlass nimmt, schwarz zu sehen, dem entgeht, dass der Sonnenuntergang den Menschen auch wunderbarerweise mit der Ewigkeit versöhnen kann. Sein Zauber liegt in der Wiederkehr des ewig Gleichen, und jeder Untergang ist nur zum Schein: Die Sonne muss verschwinden, um schließlich wieder aufzugehen. (mh)
mh. - 4. Apr, 05:33

es lebe die pseudo-stringente argumentation!

folcaire - 4. Apr, 09:57

Das hat ihn wohl mächtig gefuchst, dass dem bayerischen Nichtraucherschutzgesetz so eine kurze Sonne beschieden war. Dabei will doch außer Herrn M. gar niemand nach Bayern...

Stephan Anton Wilhelm - 4. Apr, 22:27

Herr M. merkt an, dass er sich über jede Begleitung in das schönste deutsche Bundesland freuen würde. ...
Aber zum Thema der heutigen Bonbonnière: Hat da jemand Angst vor einer Ehe mit 15 Kindern? Ihm sei zum Trost gesagt, dass die Ehe nicht für ewig angelegt ist, sondern nur bis der Tod die Eheleute scheidet. Und seit Ostern wissen wir ja auch, dass der Tod ein Sunset-Law gewesen ist, da er ja um ca. 33 n. Chr. seine ENDgültigkeit verloren hat.
Also: Ich neige mein Haupt vor einem derart philosophisch poetischen Werk, wie die heutige Bonbonnière es ist, und damit auch vor dem Autor!

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Zuletzt aktualisiert: 21. Mai, 18:17

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