Freitag, 18. April 2008

BONBONNIÈRE (11)

Es hätte einem schon zu denken geben können, dass dieses beinahe nur mit Lupe auf der Landkarte zu erkennende Stück Erde noch nicht mal mit einem Stern in den Reiseführern ausgezeichnet ist. Doch auf der anhaltenden Suche nach paradiesischen Fleckchen dieser Erde verschlug es mich eines Wochenendes nach Andorra. Einzige Assoziation: Der Roman von Max Frisch. Doch was ist dieser Zwergstaat? Unverzeihlich das Versäumnis, sich nicht doch vielleicht vor Abreise etwas ausführlicher informiert zu haben. Nun war es zu spät; die Fahrt mit dem Bus (Zugverbindungen gibt es keine) in Richtung Pyrenäen und ein paar unvergesslicher Stunden konnte beginnen.

Das schlechte Gewissen aufgrund des mangelnden Interesses für dieses Land wurde bereits bei Ankunft vom Entsetzen abgelöst: Das Paradies ist es nicht, was einen dort erwartet – dafür beeindruckt einen geballte Hässlichkeit. Ein Tal und seine umliegenden Berge. Neben lieblos gepflanzten Kirschbäumchen steht eine Architektursünde neben der nächsten, und selbst das Regierungsgebäude ist dessen eines nicht würdig. Doch warum eigentlich Regierung, bei einer Einwohnerzahl von 76.900, die nicht einmal die einer größeren Kleinstadt übersteigt?

Andorra ist eine parlamentarische Monarchie. Jedoch scheint die Erinnerung, schon einmal etwas von einem andorranischen Monarchen gehört zu haben, irgendwo zwischen Spanien und Frankreich verloren gegangen zu sein. Dabei ist dieser auf allen Titelseiten: Nicolas Sarkozy, seines Zeichens Machthaber des politisch nur unwesentlich gewichtigeren Nachbarstaates und als „Omni-Président“ bekannt, herrscht auch über Andorra. Weniger dürfte es ihm gefallen, dass er nur einen Co-Fürsten stellt, denn der gleiche Posten steht dem sicher weniger bekannten Joan Enric Vives i Sicília, Bischof von Seul d’Urgell in Spanien zu. Wie die beiden aktiv die Geschicke des Landes lenken bleibt ungewiss.

Wirklich attraktiv scheint das Land nur einer Tatsache halber zu sein: Es gibt hier keinerlei direkte Steuern; weder Einkommens- noch Körperschaftssteuern, Vermögens- oder Erbschaftssteuern. Im Gegenzug gilt das Bankgeheimnis. So wirbt die offizielle Homepage auch ganz unverhohlen damit, die letzte echte Steueroase Europas zu sein. „Glücklich der, der sich hier ein neues Domizil aufbauen kann.“

Dem gilt es vehement zu widersprechen. Es mag sein, dass man in Andorra ein überdurchschnittlich hohes Einkommen und die weltweit höchste Lebenserwartung mit 83,5 Jahren vorzuweisen hat, doch sich zu Tode zu langweilen dauert wahrscheinlich einfach länger. Nicht ohne Grund ist der Alkohol dort so günstig wie nirgends anderswo. Und auch wenn die Frau seit kurzer Zeit wählen darf, so steht sie – erst einmal verheiratet – nie mehr vor der Wahl, denn die Scheidung ist in diesem hochkatholischen Land nicht erlaubt.

Und dennoch folgen Andosiner und Andosinerinnen ihrem Wahlspruch „Vereinigte Tapferkeit ist stärker“ und bleiben schön tapfer in ihrem kleinen Paradies. Eine Hoffnung aber bleibt: Vielleicht wird ihnen demnächst ein neues, mediales Interesse zuteil, wenn eine gewisse Angela Merkel erst einmal bemerken sollte, dass man dort in Andorra ja auch ganz gut sein Geld verstecken kann. (fgo)

DAS_PROJEKT

Was die von der SZ machen, können wir auch. Warum nicht selbst 'Streiflichter' schreiben? Die BONBONNIÈRE musste also her - der Spielplatz für Gelegenheitsweltliteraten. Eine Dose voller Bon[n]bons und Bon[n]mots, jeden Freitag neu, verfasst von überambitionierten Autorinnen und Autoren aus Bonn und der Welt.

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Zuletzt aktualisiert: 21. Mai, 18:17

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