Freitag, 18. Juli 2008

BONBONNIÈRE (24)

Hässlichkeit, sagte einst ein großer Philosoph, bietet einen Stützpunkt in einer Welt, in der alles schwankt. Verzeihung, es handelt sich hier um Häuslichkeit – zu Hässlichkeit äußerte allem augenblicklichen Anschein nach kein großer Philosoph etwas Kluges. Es liegt ja auch in der Natur des Menschen, ungreifbar unangenehme Undinge unbeachtet zu lassen. Aber nicht immer...

Seit einiger Zeit genießt ein so genannter Abriss-Kalender seine weltliche Existenz. Täglich darf ein baulicher Schandfleck auf deutschem Boden buchstäblich einfach so abgerissen werden. Und gegen Ende eines Jahres steht deutschlandweit schließlich kaum noch eine Kaufhof-Filiale.

Nun muss der Kalender wohl ein Blatt frei machen für eine weitere, alles Vorausgegangene in den Schatten der Schönheit stellende Bauschande. Deren zusätzliche Schmach begründet sich in der tragischen Ortswahl seiner Errichtung: dem geschichtsträchtigsten Platz unserer Hauptstadt. Die geschwollene Rede ist selbstredend von der neuen amerikanischen Botschaft am Pariser Platz in Berlin.

Diese klobige Festung in Billig-Optik erinnert an zukünftige Zeiten, in denen der Zweck allein den Zweckbau heiligt und Ästhetik ein luxuriöses Relikt vergangener Epochen darstellt. Möglicherweise handelt es sich hierbei aber auch um Baukunst, um wegweisende Architektur. Sind die asymmetrisch geformten Fenster vielleicht doch moderne haute architecture? Nein, sie sind kugelsicher. Und ist das geschwungene Vordach nicht vielleicht doch Vorbote einer wiederkehrenden ’80er-Welle? Nein, es ist schlichtweg piefig. Und wenn alle Maulwürfe grün wären und alle Ameisen fliegen könnten…Wäre der logische Folgeschluss dann nicht, dass Kühe Schafe sind? Nein. Und deshalb ist und bleibt die amerikanische Botschaft so wie sie ist – hässlich.

Nächsten Donnerstag stattet Barack Obama der Metropole einen Besuch ab. Und er hat bereits eine fabelhafte Berliner Rede vorbereiten lassen. Für das Brandenburger Tor ist sie dennoch nicht fabelhaft genug. Diese Ehre bleibe gewählten Präsidenten vorbehalten, so heißt es in Regierungskreisen. Es sei mir an dieser Stelle ein unverbindlicher Vorschlag empörender Einfachheit gestattet: Eine Linksdrehung des Rednerpults um 90 Grad würde der gesamten Veranstaltung im Nu genügend Ehrwürdigkeit nehmen und ihr den von der Kanzlerin gewünschten provinziellen Charakter verleihen.

So dürfte sich Obama der Welt präsentieren. Vor einem Gebäude, das mit vermehrter Fensterlosigkeit den Begriff der Aussichtslosigkeit neu definiert. Vor einem Gebäude, das dreizehn Jahre bis zu seiner Vollendung brauchte – und vielleicht bald mit nur einem Handgriff wieder abgerissen werden kann. (nm)

DAS_PROJEKT

Was die von der SZ machen, können wir auch. Warum nicht selbst 'Streiflichter' schreiben? Die BONBONNIÈRE musste also her - der Spielplatz für Gelegenheitsweltliteraten. Eine Dose voller Bon[n]bons und Bon[n]mots, jeden Freitag neu, verfasst von überambitionierten Autorinnen und Autoren aus Bonn und der Welt.

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'BONBONNIÈRE_ Der Spielplatz für Gelegenheitsweltliteraten' wird herausgegeben von marc holzenbecher, Bonn

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Zuletzt aktualisiert: 21. Mai, 18:17

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