Freitag, 11. April 2008

BONBONNIÈRE (10)

Kurt Biedenkopf wurde seinerzeit als Ministerpräsident von Sachsen König Kurt genannt. Zwölf Jahre lang dauerte seine Herrschaft. Eine aufgeklärte Monarchie wird man sie schwerlich nennen können. König Kurt stand eher in der Traditionslinie des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Die absolute Mehrheit machte ihn zu einem absoluten Herrscher, der sein Reich als sein Eigentum betrachtete. Von schwedischen Möbelhändlern, die er in selbigem zu dulden beliebte, forderte er im Gegenzug Tribut in Form von Rabatten für seine königliche Gemahlin nicht bloß in Höhe des traditionellen „Zehnten“, sondern gar von 15 Prozent (also anderthalb Zehnten) ein.

Kurt Beck nennt niemand König, und wenn, dann schwingen mindestens achteinhalb Zehnte Spott mit. Dabei hat er den sächsischen Potentaten schon um zwei Regierungsjahre überholt und ist der dienstälteste Landesfürst. Mit absoluter Macht und ohne die Hilfe seines Brüderles herrscht er zwar erst seit zwei Jahren; dafür erstreckt sich seine Rheinland-Pfalz fast 600 Morgen weiter als das Reich des Sachsenkönigs. Und seine Macht endet nicht an den Landesgrenzen, hat sich ihm doch vor zwei Jahren aus freien Stücken und Mangel an Alternativen die ganze Sozialdemokratie unterworfen.

Trotzdem ruft Kurt Beck eher die Assoziation an den im Vokalvortrag vergleichbar bräsigen Hit der auslaufenden Achtziger „Hier kommt Kurt, ohne Helm und ohne Gurt, einfach Kurt“ hervor. Ohne Helm und ohne Gurt hat er auch seinen Strategiewechsel in Sachen Linkspartei verkündet. Und ohne Konsultation der Parteigremien, einfach Kurt eben. Wobei das der König von Sachsen nicht anders gehalten hätte. Aber in seinem Königreiche hätten sich die Hofschranzen angesichts einer solchen ordre de mufti eilfertig in den sächsischen Mischboden geworfen und die weise Entscheidung des großen Königs um die Wette gepriesen. Nicht eine Stimme hätte sich im Reiche Sachsen erhoben, um eine Urwahl desjenigen zu fordern, der in die Wahlschlacht gegen die Imperatrix ziehen soll. Nicht wenige Vasallen sammeln sich hinter dem Kronprinzen Frankwalterich, dem sie eher zutrauen, Angela von der Uckermark zu schlagen. Auch der Pfalzgraf selbst traut ihm das eher zu. In einem direkten Duell mit Beck hätte die Imperatriene jüngsten Umfragen zufolge ein Fünffaches an Wählerscharen hinter sich. Unendliche Schmerzen.

Prügel würde wohl auch Frankwalterich kassieren, wenn auch nicht ganz so derbe. Das Imperatränentier scheint im Felde unbesiegbar, und das sagt eigentlich schon alles über alle, über den Pfalzgraf, über seinen Kronprinzen und über die Wählerscharen (nur über den Sachsenkönig, da sagt es nichts). Daher hat Fürst Kurt wahrscheinlich gar nichts dagegen, anstatt seiner Frankwalterich in den Tod reiten zu lassen. Ritte er selbst, verlöre er wohl die Herrschaft über die Sozialdemokratie und binnen Jahresfrist wahrscheinlich auch jene über seine Pfalz. Die SPD würde Frankwalterich aufs Schild heben, oder in ihrer Verzweiflung vielleicht gar den Roten Wowereiter, der Seit’ an Seit’ mit Oskar dem Schrecklichen in den Kampf gegen Angela II. zöge.

Aber der Pfalzgraf will dann doch selbst bestimmen, den Dauphin vorzuschicken. Par ordre de mufti, wie es eines Königs würdig ist. Und ab und an träumt er dann doch vom Schlusschoral des Hits der späten Achtziger, in dem die Masse skandiert: „Wir woll’n Kurt“. (vb)

Freitag, 4. April 2008

BONBONNIÈRE (9)

Gesetze sind nicht für die Ewigkeit. In diesen Tagen möchte man dem chinesischen Sprichwort direkt zustimmen; man denke nur an das Nichtraucherschutzgesetz in Bayern, das so schnell gelockert wurde, dass die Zigaretten dort schon wieder brannten, kaum dass der letzte Qualm aus den Wirtshäusern verzogen war.

Diese legislative Kurzlebigkeit könnte bald die Regel werden – schuld daran ist das Sunset-Law. Darunter versteht man ein Gesetz, das nur eine gewisse Zeit gültig ist und als aufgehoben gilt, sofern es nicht „im Morgengrauen“ erneuert oder bestätigt wird. Man muss sich das vorstellen als eine Art Gesetzestext mit Verfallsdatum, der wie ein Joghurt einer Überprüfungsnotwendigkeit unterliegt, ist der Tag des Mindesthaltbarkeitsdatums erreicht.

Manch einem Gesetz würde ein „Sonnenuntergang“ zweifellos gut zu Gesichte stehen: Eine Mehrwertsteuererhöhung vorerst für drei Jahre? Das wäre ein Deal. Ein Flugzeugabschussgesetz, das nach zuvor festgelegter Frist mitsamt dem verantwortlichen Minister vom Himmel fällt? Gut, dafür haben bereits umsichtige Richter gesorgt. Studiengebühren, die ihre Legitimität verlieren, wenn ihr Segen für die Universitäten dieses Landes nicht nach einer gewissen Zeit spür- und messbar ist? Ach!

Eine Sunset-Legislation ist offenbar nicht in allen (Gesetzes-)Lagen realistisch – in manchen auch schlicht nicht wünschenswert: Nicht auszudenken die möglichen Konsequenzen einer „Deutschen Sunset-Einheit“! Und ein Sunset-Bonn-Berlin-Gesetz hätte aus der Führung des Landes auf unbestimmte Zeit eine Jetset-Regierung gemacht. (Allerdings hätte Schäuble dann sein Flugzeug-Gesetz wohl in der Schublade gelassen.) Auch wird das Sunset-Prinzip sicher nicht so schnell auf andere Lebensbereiche übertragbar sein. Falschparkern und Führungspersonen mit Konto in Liechtenstein sei gesagt, dass was für Gesetze gilt, vorerst nicht auf Strafzettel, Steuerbescheide oder Haftbefehle angewandt werden kann. Enttäuschen muss man an dieser Stelle auch einige Liberale, die bereits vom Sunset-Sozialstaat träumen.

Was das Sunset-Prinzip zusätzlich so relevant erscheinen lässt, ist seine Rolle als Symptom unserer Zeit und einer Welt, in der nichts mehr von Dauer ist. Ist das Sunset-Law nicht vor allem ein Kind unserer Wegwerfgesellschaft, in der Konsumption alles und Bewahren nichts ist, wo unsere käuflich erworbene Dingwelt in zyklischen Bewegungen in den Supermülleimer der Moderne wandert? Leben wir nicht überhaupt in einer Sunset-Gesellschaft; gehen nicht irgendwann immer die Sonne unter oder zumindest die Lichter aus?

Im Grunde ist der Mensch mit allem Ewigen seit jeher überfordert. Woody Allen spricht aus, was jeder weiß, der den unbefristeten Bund der Ehe eingegangen ist: Die Ewigkeit dauert lange, besonders gegen Ende. So ist es nur konsequent, dass Frau Landrätin Pauli vor einiger Zeit die Sunset-Ehe ins Gespräch gebracht hat: Warum nicht die Ehe, oder genauer, den Ehepartner, nach sieben Jahren einer Überprüfung unterziehen?

Wer all dies zum Anlass nimmt, schwarz zu sehen, dem entgeht, dass der Sonnenuntergang den Menschen auch wunderbarerweise mit der Ewigkeit versöhnen kann. Sein Zauber liegt in der Wiederkehr des ewig Gleichen, und jeder Untergang ist nur zum Schein: Die Sonne muss verschwinden, um schließlich wieder aufzugehen. (mh)

Freitag, 28. März 2008

BONBONNIÈRE (8)

In New York gibt es so einen Airtrain. Er verbindet den Flughafen mit der Newark Penn Station. Der Airtrain hat nur eine Schiene und ist ziemlich langsam, aber er kommt alle vier Minuten. Außerdem ruckelt er beim Fahren ungemein, man meint fast, gleich in der Bronx zu landen. Hat man ein Flugticket, kostet die Benutzung nichts.

In Herrn Stoibers Kopf gibt es auch so einen Zug, Transrapid. Der hat auch nur eine Schiene und ist ziemlich schnell, verbindet Deutschland mit dem Münchner Hauptbahnhof in zehn Minuten! Einmal ruckelte der Zug nicht nur in Herrn Stoibers Kopf ganz schön heftig, als jemand etwas auf dem Gleis vergaß. Vielleicht liegt es daran, dass man wohl nie wird sagen können, wie viel ein Ticket kostet. Denn es wird in Bayern keinen Transrapid geben, keine Tickets, keinen Flughafen am Hauptbahnhof von Deutschland, oder so.

Schade. Eigentlich war ja alles nur für Deutschland. Das geht folgendermaßen, Bayerns Chef Günther Beckstein weiß Bescheid: Nur wer den Transrapid habe, sei wohlhabend. Und wer den Transrapid nicht will, der legt Deutschland Steine in den Weg und eigentlich der ganzen Welt. (Ist ja auch ganz klar, jetzt hilft noch mal Stoiber: Der Transrapid verbindet den Münchner Hauptbahnhof mit dem Münchner Flughafen und wenn man da erstmal ist, dann ist man ganz nah dran an Deutschland, also an der Welt.)
Anstrengen von früh bis Nacht will sich Günther Beckstein, dass es mit Deutschland nicht komplett den Bach herunter geht, jetzt wo es doch keinen Transrapid gibt. Es wäre alles verloren, aber zum Glück haben wir noch die Neutronenquelle!

Die Neutronenquelle in München – oder Bayern oder in der Nähe, auf jeden Fall aber in Deutschland – ist genauso prestigeträchtig, wie es der Transrapid einmal werden sollte. Und noch eine Gemeinsamkeit: Auch die Neutronenquelle wollte niemand haben, aber jetzt sind alle stolz wie die Weltmeister, dass es sie doch gibt. Die logische Schlussfolgerung drängt sich förmlich auf, Günther Beckstein brilliert: Den Transrapid will auch keiner, also sollte man ihn bauen.

Man muss sich ja nur mal die anderen Flughäfen angucken, Charles de Gaulle und Heathrow in London. Da braucht man unglaublich lange, um das Gate zu finden. Wenn man sich den New Yorker Flughafen Newark auch noch anschaut und dann auch die Stadt gleich mit, kann man noch etwas lernen: Auch Städte können pleite gehen. Und da helfen grob kalkulierte, instabile Kostenrechnungen nicht als Gegenmittel. (dle)

Das Thema Transrapid in den Tagesthemen vom 27.3.2008 - mit einem wunderbaren Interview mit Erwin Huber.

Freitag, 21. März 2008

BONBONNIÈRE (7)

Karfreitag – Jesus stirbt am Kreuz. Seit Jesu Tod und Auferstehung ist der Tod zu einer Banalität verkommen. Der Tod ist nicht das Ende, sondern der Beginn eines neuen, ewigen Lebens. Das Kreuz des Karfreitages ist so zum Zeichen der Hoffnung für die Menschen geworden.

Ein solches Hoffnungszeichen könnte auch die Sozialdemokratie gut gebrauchen. Die Umfragewerte der Demoskopen sind auf einem historischen Tiefstand. Vielleicht sollte die SPD die Karwoche einmal ganz bewusst begehen und die Ereignisse der „Heiligen Woche“ als Quelle der Inspiration betrachten, da offensichtlich einige Parallelitäten bestehen.

Der sozialdemokratische Palmsonntag liegt schon fast zwei Jahre zurück. „Glück auf!“ schallte es damals König Kurt entgegen, als er zum Vorsitzenden der SPD gewählt wurde. „Völker hört die Signale!“ war seine Antwort. Er vertrieb den herzlosen Pragmatismus der Regierung Schröder aus dem Tempel der Sozialdemokratie. Er erweckte Tote zum Leben, wie etwa den demokratischen Sozialismus. Dabei erinnerte der Herr nach dem anhaltenden elektoralen Erfolg der Judäischen Volksfront, „Die Lafontainesche Linke“, allerdings eher an Goethes Zauberlehrling als an den Messias: „Hat der alte Hexenmeister sich doch einmal fortbegeben, und nun sollen seine Geister, auch nach meinem Willen streben.“

Dass dies nicht gelang, zeigte sich eine Woche vor der Wahl in Hamburg. Es war zwar nicht Gründonnerstag, sondern ein Montag, besser ein Grünmontag. [Grün hat hier nichts mit der politischen Bewegung zu tun, sondern steht für das niederdeutsche „greinen“, d.h. weinen (so gesehen hat es vielleicht doch was mit der „Ich-Claudia-bin-ja-so-betroffen-Partei“ zu tun).] Bei einem Abendmahl gab der Retter der Sozialdemokratie seinen Landesverbandsjüngern ein neues Gebot: „Liebt die Linke!“ Ergriffen und überwältigt von einer solchen Geste der Liebe zu seinen Jüngern, ereiferte sich die Apostelin Andrea das Gebot des Herrn in die Tat umzusetzen. Damit lieferte sie ihn aber unfreiwillig für den Preis eines Ministerpräsidentenpostens dem Leiden aus. Nachdem man ihn vierzehn Tage lang mit einem unmenschlichen Grippevirus gegeißelt hatte, sah er sich von Pontius Populus Pilatus der Frage gegenüber gestellt: „Was ist Wahrheit?“ Eine Antwort blieb er schuldig.

Wie die Geschichte Jesu endet ist bekannt. Aber die Geschichte der SPD? Konsequenterweise können auch die Ostererzählungen der Heiligen Schrift auf die Sozialdemokratie übertragen werden. Jesus ist den Opfertod am Kreuz gestorben, damit die Menschen das ewige Leben haben. Ergo muss Kurt politisch sterben, damit die Sozialdemokratie leben kann. Er wird seinen Jüngern nach Mainz voraus gehen und noch vier Jahre unter ihnen weilen, eher er in den sozialdemokratischen Himmel aufgenommen und zur Rechten (oder doch eher Linken) Brandts sitzen wird. Aber bereits mit der Entdeckung des leeren Chefsessels der Sozialdemokratie am Ostermorgen werden die Aposteln Frank Walter und Peer den Hymnus anstimmen: „Linke, wo ist dein Sieg? Linke, wo ist dein Stachel?“

Halleluja! Frohe Ostern! (sm)

Freitag, 14. März 2008

BONBONNIÈRE (6)

Bus oder Fahrrad? Eine täglich aufs Neue gestellte Frage in vielen deutschen Haushalten. Fahrrad, ist doch klar! werden einige der elitären Egozentriker und freiheitsliebenden Ungeduldigen sagen. Aber Vorsicht ist geboten, denn Bus fahren birgt viele Vorteile. Es spart nicht nur dringend benötigte Energiereserven, sondern eröffnet zudem die Aussicht aus zweimal zwei Meter großen gläsernen Leinwänden auf deutsche Prachtstraßen – wenn die Fenster nicht mal wieder mit Zwanzig-Prozent-auf-alles-außer-Tiernahrung-Werbung verklebt sind. Der größte Vorzug ist jedoch ein ganz anderer: Dass man unter die Menschen kommt. Sie hautnah miterlebt. Sie riecht. Sie hört.

Gestern Morgen an der Haltestelle. Zwei ältere Damen warten mit mir auf den Bus. Beide sitzen auf dem neuesten Meyra Ideal Rollator mit gepolsterter Sitzfläche und sprechen angeregt miteinander. Ich frage mich, worüber sich Deutschland früh um halb eins unterhält. Etwa über das Wetter, die neusten Aldiangebote, junge Kleinkriminelle mit Migrationshintergrund? Diskret schalte ich den ipod aus und horche. Nein. Politik: „Die Drecksäcke da oben tun sisch doch alle nur die Taschen voll machen.“ Doch von wem ist die Rede? Und vor allem: wo ist „da oben“? Ich denke an die Götter auf dem Olymp, die Bergsteiger auf der Zugspitze… Gemeint aber ist natürlich die unmenschliche, mit dem Leben der hilflosen Bürger pokernde Spezies der Politiker.

Der Bus kommt und wir steigen ein. Es geht weiter. „Die sind doch alle gleisch“. Mir scheint, als würde der halbe Bus nickend zustimmen. Ich möchte mich einmischen: Und was ist mit Herrn …ähm Frau Metzger? Der ehrlichsten Politikerin, der mutigsten Frau Deutschlands? Die Bild-Zeitung muss es schließlich wissen. Stattdessen senke ich den Politikteil der Süddeutschen etwas herab. Becks Grinsen auf dem Foto (worüber kann der eigentlich noch lachen?) ist in dieser Situation vielleicht nicht gerade das Angebrachteste. Man muss ja nicht immer provozieren.

Ein Mann in einer orangefarbenen Jack Wolfskin Jacke schaltet sich ein. Er klopft der lauteren der beiden Damen verständnisvoll auf die Schulter. Mir geht das Bild zweier Krebskranker im Endstadium durch den Kopf, die sich im Hospiz gefunden haben, um den alleinig Schuldigen für ihre Misere auszumachen. Woher nur kommt diese Überzeugung, der arme kleine Bürger sei ein abgenutztes, machtloses Zahnrad in der allmächtigen Maschinerie des Bösen?

„Und es wird doch immer schlimmer“, höre ich noch beim Aussteigen. Ich freue mich schon auf die Rückfahrt. Und heute Abend inseriere ich mein Fahrrad bei ebay. (nm)

Freitag, 7. März 2008

BONBONNIÈRE (5)

Jeden Morgen um halb acht beginne ich den Tag, indem ich bei einem großen Becher Kaffee mit Milch die Tageszeitung lese. Dabei fiel mir auf, dass in der letzten Zeit der Politikteil, national wie international, von einem Thema dauerdominiert wird: Wahlen. Während Kenia und Russland schon gewählt haben, Niedersachen, Hessen, Bayern und Hamburg auch, betreiben die USA indes einen Wahlkampf für die Nominierung zum Wahlkampf um das Präsidentenamt. Sehr demokratisch, wie ich meine.

Ich möchte an dieser Stelle eine völlig unpolitische Sicht auf den amerikanischen Präsidentenwahlkampf werfen und damit den doch bestimmt zahlreichen amerikanischen deutschsprachigen Lesern eine neue Facette des Ganzen geben. Immerhin haben wir gerade in Hessen gelernt, dass alles viele Facetten hat und dass die bösesten Wörter der deutschen Sprache mit „W“ beginnen, wie Wahrheit, Wortbruch und Links-Partei.

Zurück zu meinem eigentlichen Anliegen. So gibt es für jeden der noch verbliebenen drei Kandidaten gute oder schlechte unpolitische Gründe, amerikanischer Präsident zu werden. Fange ich doch am besten mit dem republikanischen Kandidaten McCain an. Wir in Deutschland haben bekanntermaßen ein sehr gespaltenes Verhältnis zu Schleichwerbung und Ernährungsproblemen. Vor beiden will Vater Staat und Mutter Bundeskanzler uns schützen. Dies wirkt hier leider sehr zum Nachteil McCains. Denn hierzulande verbinden die meisten den Namen mit Pommes, was weder einer gesunden Ernährung zugute kommt, noch den fairen Frittenfirmenwettbewerb ermöglicht. McCain ist daher aus werbeernährungsspezifischer Sicht eher ungeeignet.

Erinnern Sie sich eigentlich noch an das G8-Treffen in Heiligendamm? Worüber ich mir immer wieder Gedanken machen muss, ist der arme Herr Sauer. Als einziger „First Man“ blieb ihm nichts anderes übrig, als „der Hahn im Korb“ zu sein und mit den anderen acht First Ladies das Partnerprogramm zu bestreiten. Genau hier setzt meine Argumentation für Hillary Clinton als Präsidentin an. Liebe Amerikaner, gebt dem Herrn Sauer einen Zigarrenpartner. Steht ein für die Emanzipation der Frau in politischen und des Mannes in repräsentativ-unterstützenden Ämtern. Bill im Partnerprogramm und Herr Sauer ist nicht mehr so alleine!

Da bliebe also nur noch der Herr Obama. Nun, er im Amt des Präsidenten gäbe den Komödianten Futter (mal wieder einen richtig einfachen Reim zu einer anderen bekannten Persönlichkeit der politischen Welt) und damit vielleicht den Anlass, ihr Niveau auf eine erträgliche Ebene zu heben. Kurz: Obama für mehr Niveau im deutschen Unterhaltungsfernsehen. Ganz nebenbei bemerkt – ein betender Präsident gefällt bestimmt auch dem Papst…

Wie auch immer in Amerika entschieden wird, eines ist zu hoffen: Deutschland darf nicht in der Anarchie versinken. Daher mein Appell an die Wahrheit: Mache dich erst auf nach Hessen und gebe dann den Deutschen die Erkenntnis, dass Streiken nicht unter die Kategorie Volkssport fällt. (av)

Freitag, 29. Februar 2008

BONBONNIÈRE (4)

„WAS? Du hast von den Krawallen gar nichts mitbekommen?“ Ich habe die ungläubige Stimme meines Bruders noch im Ohr. „Aber du wohnst doch da!“ Ja, ich wohne in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Und ich lerne gerade Dänisch. Und ich bin Erasmus-Studentin. Damit verbinden sich drei Tatsachen zu einem unheilvollen Gebräu, das in Fällen wie diesem dafür sorgen kann, dass auch an mir mal etwas vorbeigeht. Selbst tagelang andauernde Jugendkrawalle im Migrantenviertel Nørrebro.

Erstens: Kopenhagen ist eine Millionenstadt. Das muss man dem Bonner an sich und all jenen, die Dänemark bisher nur vom Sommerurlaub am eher spärlich besiedelten Nordseestrand kennen, erst einmal erklären. Fährt man in København mit dem Rad bei skandinavischem Seewind vom In-Viertel Vesterbro in die Wohngegend Østerbro, kann das schon mal dauern. Anfühlen tut es sich in etwa so, als würde man am Frankfurter Flughafen mit 52 kg Gepäck von Abflughalle A zu Abflughalle D laufen. Aufgrund der beachtlichen Distanzen bekomme ich es also nicht zwangsläufig mit, wenn sich in Nørrebro Jugendliche Straßenschlachten mit der Polizei liefern.
Zweitens: Fließendes Dänisch wird einem als Deutsche ja nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Als Sprachschüler im Anfangsstadium dauert das intensive Studium einer Tageszeitung deshalb auch schon mal eine gefühlte Woche. Ob dieser Sprachbarriere konsumiere ich dänische Medien derzeit (noch!) eher rudimentär.
Drittens: Der Erasmus-Effekt! Es gibt da dieses naive Prä-Auslandssemester-Gerede: „Ich möchte mich gerne mit Ortsansässigen anfreunden.“ Liebe zukünftige Erasmus-Generationen: Es gibt kein einheimisches Empfangskomitee am Bahnhof, das mit folgenden Worten auf euch zustürmt: „Auf dich haben wir gewartet! Gib uns zwei Wochen und du bist sozial integriert!“ Das ist eine Mär, ein Trugschluss! Es gibt eine große Erasmusgemeinde. Ich kenne Südkoreanerinnen, Brasilianerinnen und – dazu stehe ich – sogar Holländer. Wer sich jedoch mit Dänen anfreunden möchte, bleibe in Deutschland. Das ist deren bevorzugtes Austauschland.
Dies alles führt dazu, dass auch für die Korrespondentin vor Ort die Geschehnisse oftmals schleierhaft bleiben.

Stattdessen: Eine treffsichere Analyse der amerikanischen Vorwahlen? Ein bissiger Kommentar zu Monsieur Sarkozy und la Première Dame Bruni? Eine pointierte Stellungnahme zu Stichworten wie rot-rot-grün, schwarz-grün und rot-gelb-grün?
Det er i orden! Selvølgelig! Værsgo! (An dieser Stelle danke ich Spiegel Online, sueddeutsche.de und WDR 2.)

Aber zurück ins Land der Pølser und Wikinger. Straßenschlachten, Jugendliche mit Migrationshintergrund, brennende Autos: Da sind die Mohammend-Karikaturen thematisch nicht mehr weit. Das hat wohl auch der Kopenhagener Politikwissenschaftler Noel Parker gemeint, als er auf der Internetseite des renommierten Wiener Standard die Unruhen messerscharf analysierte: „Das ist alles sehr spekulativ. […]Es könnte auch mit dem mittlerweile abgerissenen Jugendhaus zu tun haben - alles ist möglich.“. Andererseits: „Es gibt so etwas wie eine gemäßigte Riot-Tradition in Dänemark.“ Aha.

Den versuchten Mordanschlag auf den Karikaturisten Kurt Westergaard habe ich übrigens wahrgenommen. Spiegel Online berichtete. Selbstverständlich habe ich mir als gesellschaftspolitisch Interessierte umgehend die tagesaktuelle Ausgabe der Politiken besorgt. Den Artikel lese ich dann in vier Monaten. Wenn ich fließend Dänisch spreche. (chö)

Freitag, 22. Februar 2008

BONBONNIÈRE (3)

„Deutsche, bitte erobert uns“, forderte der Führer der italienischen außerparlamentarischen Opposition Beppe Grillo jüngst in der ZEIT. Das italienische Volk werde sich ohne einen Schuss ergeben und die deutschen Soldaten mit Blumenregen begrüßen, wenn sie ihnen nur die italienischen Politiker abnähmen. Natürlich ist Beppe Grillo nicht nur APO-Duce, sondern auch Starkomiker. Nichtsdestotrotz ist die Frustration der Italiener über ihre politische Kaste real. Und allzu verständlich. Sie sollten aber die deutsche politische Kaste nicht überschätzen, die in großkoalitionärer Bräsigkeit zweifellos diese einmalige außenpolitische Gelegenheit verpuffen lassen wird. Eine Woche ist der Appell nun alt, und es gibt noch nicht einmal ein Statement von Pofalla. Dabei wäre der doch als CDU-General ausnahmsweise tatsächlich mal zuständig. Auch von Vorwärtsverteidigungsminister und Chef-Ego-Shooter Franz-Josef Jung und dem größten Feldherrn aller Nachkriegszeiten Guido Westerwelle ist nichts zu hören. Wir brauchen endlich eine ernsthafte politische Debatte über einen Italienfeldzug. Nur, weil das Koalitionsklima angespannt ist, es keinen entsprechenden Passus im Koalitionsvertrag gibt und im Herbst Landtagswahlen in Bayern anstehen, kann man so eine zentrale Frage doch nicht bis 2009 liegen lassen!

Zugestanden, Auslandseinsätze der Bundeswehr sind unpopulär. Aber die Aussicht auf Lebensraum im Süden wird nach anfänglicher Aufgeregtheit zumindest die Toskana-Fraktion umstimmen. Zumal Grillo ja einen Blitzsieg ohne Blutvergießen verspricht. Neapel ist nicht Kabul. Es gibt hier weder Taliban noch Mullah Omar, nur Tagliatelle und Müll-Omertà, und sowohl die Teigwaren als auch den Unrat importiert Deutschland heute schon mit Freude.

Schon aus humanitären Erwägungen ist eine Intervention in Italien unabweislich. Historisch liegt die besondere Verantwortung Deutschlands (Achse Berlin-Rom) auf der Hand. Aber auch nüchterne deutsche Interessen gebieten den Einsatz: Sind die versprengten Forza-Italia-Schergen und die Lega-Nord-Allianz erst einmal befriedet oder in Lager abgeschoben (hier kann Deutschland auf älteres Herrschaftswissen zurückgreifen) und ist der failed state mit dem gründlichen deutschen Regelungsgeflecht überzogen, wird Deutschlands Prestige nicht nur derart ansteigen, dass uns ein Sitz im UN-Sicherheitsrat – mit Vetorecht! – förmlich angedient wird (zumal dann kein Italien mehr quer schießt). Nein, auch andere benachbarte failed states wie das föderalismusgebeutelte Belgien werden uns um Unterwerfung anflehen. Auch einem Anschluss der Niederlande steht dann wohl nichts mehr im Weg, der uns erlaubt, die Weichen für die im Laufe der Klimakatastrophe auf uns zukommende Aufgabe der Integration von 16 Millionen Menschen in unser Gemeinwesen – anders als 1990 – rechtzeitig selbst zu stellen.

Berlin darf der Welt die Genesung am deutschen Wesen nicht länger vorenthalten. Oder wollen wir uns ewig mit der Rolle als Weltmeister der Herzen bescheiden? Mit einer um die italienischen Kicker angereicherten Nationalelf könnte uns bei der EM im Juni jedenfalls keiner was. Noch ein Grund, schnell zu handeln. Und wenn man schon mal in der Gegend ist: Wie wär’s denn vielleicht noch mit einem Abstecher nach Liechtenstein… (vb)

Freitag, 15. Februar 2008

BONBONNIÈRE (2)

Sieben Uhr. Ante meridiem, a.m., morgens. Was ist das für eine Uhrzeit? Um sieben Uhr morgens klingeln Wecker. Kinder vom Land warten auf den Schulbus. Studenten erholen sich von der letzten Party. Staatsanwälte klingeln mit einem Haftbefehl an Kölner Villentüren.

Klaus Zumwinkel saß um kurz nach sieben mit Sicherheit senkrecht im Bett. Seine Kinder – sollten sie vielleicht den Haustürschlüssel verloren haben und jetzt von der Party am Vorabend keine andere Zuflucht als ihr Elternhaus wissen? Oder erlaubten sich wartende Schulkinder einen Scherz, um die Langeweile zu vertreiben? Der Wecker hört sich mit Sicherheit anders an. Im Internet war mehrmals zu lesen, der Post-Chef habe bemerkenswert lange gebraucht, bis er die Wohnungstür geöffnet habe. Eigentlich könnte man durchaus erwarten, dass man gern gesehene Gäste auch um sieben Uhr a.m. gerne hinein bittet und ihnen einen Kaffee anbietet, ohne sie warten zu lassen. Keine Bademäntel, gestörte Tiefschlafphasen oder Out-of-Bed-Frisuren. Nein… Man kann natürlich erwarten, dass Frau Zumwinkel sorgfältig frisiert um sechs Uhr dreiundfünfzig in der Diele wartet, während der Kaffee leise und dampfend durch die Kaffeemaschine tröpfelt und die Gäste endlich um sieben Uhr s.t. klingeln.

Wartenlassen macht verdächtig. Das passt ja auch in die ganze Szenerie, ein Wirtschaftskrimi wie aus dem Bilderbuch, Skandal! Der Fall fing schon äußerst obskur an: Der Bundesnachrichtendienst gab den heißen Tipp, dann Polizei, Razzia, Nacht-und-Nebel-Aktion, sogar wörtlich genommen, denn nebelig war es heute Morgen. Das riecht nach Agententhriller. Wer weiß, vielleicht hat er noch schnell ein paar Euro nach Liechtenstein überwiesen, bevor er die Tür öffnete. Bestimmt hat er Akten mondän mit einem Streichholz verbrannt, und deswegen mussten der freundliche Herr Staatsanwalt so lange warten.

Ein bisschen riecht Zumwinkels Geschichte aber auch nach TKKG. Ein schlichtes Haus, groß, aber normal. Ein – zugeben reicher, aber dennoch – gewöhnlicher Stadtteil in einer Großstadt. Ein erfolgreicher, wohlhabender Mann – mit einer verbreiteten, menschlichen Schwäche, dem Streben nach noch mehr Reichtum.Und eine Familie, die morgens um sieben Uhr, ante meridiem, ein paar Minuten braucht, um die Tür zu öffnen – weil sie noch im Bett liegt. (dle)

Freitag, 8. Februar 2008

BONBONNIÈRE (1)

Eigentlich hatte ich ja ein Konzept, genauer gesagt, ein Stichwort. Ganz großartig! Kurt Beck hat’s in irgendeiner Talkshow rausgehauen und ich wusste: das ist er, der Aufhänger für die erste Glosse. Doch erwies er sich als allzu sperrig. Nicht Beck – obgleich auch ihm eine gewisse physische Sperrigkeit nicht abzusprechen ist. Nein, der Aufhänger. Mittlerweile glaube ich, dass das Stichwort an sich ganz handlich wäre und nur so durch die Zeilen flutschen könnte, wäre da nicht das Gedankenkonstrukt, das sich seither in meinem Kopf darum gebildet hat, das es einfing und zu seinem Käfig wurde. Nun sitzt es da, das Stichwort, und kann sich nicht mehr rühren, und die Glosse will und kann so nicht gelingen. Vor meinem Kopf ein Brett, auf dem Tisch das leere Blatt, der Redaktionsschluss rückt näher und näher und ich bin da, wo ich ganz sicher nicht landen wollte: auf der Meta-Ebene.

Nun ja. Ohne Metaebene gäbe es keine Parodien, die sich selbst parodieren, und keine Werbung, die für sich selber wirbt. Und auch keine Filme, die ihre eigene Entstehung zum Gegenstand des Filmes machen. Welch triste Welt, in der man nicht zur Selbstbespiegelung sein Ausgangsplateau überschreiten könnte, gleichsam das eigene Ich transzendierend, um dann, freilich auf der Metaebene, doch nur wieder sich selbst zu umkreisen. Die Metaebene ist das Pornokino für die intellektuelle Masturbation!

Das Spiel mit der Metaebene kann aber auch in einer Rückkopplung enden, etwa, wenn ein Lautsprecher das Signal eines Mikrophons hörbar macht es und gleichzeitig wieder und wieder durch das Mikrophon schickt. Das System gerät unfreiwillig in einen Dialog innerhalb seiner selbst über sich selbst – die Autoerregung äußert sich für den Zuhörer in grellem Fiepen.

Doch auch Störgeräusche haben ihren Reiz, etwa solche wie sie entstehen, wenn man die Objektebene mit ihrer Metaebene kurzschließt und so Paradoxa erzeugt. Man denke an René Magritte, der eine Pfeife malte und sie mit dem Untertitel versah: ceci n’est pas une pipe. Ähnliches funktioniert auch in der Sprache: Wenn dieser Satz wahr ist, ist Guido Westerwelle der aktuelle Bundeskanzler. Gehen wir von der Wahrheit dieses Satzes aus, so folgt daraus Guidos Kanzlerschaft, die aber selbst – an dieser Stelle darf man sich ruhig freuen – eine Unwahrheit ist. Man kann das Ding drehen und wenden wie man will, und steckt doch in einer Endlosschleife, in einer mentalen Rückkopplung. Und wer weiß, wenn man sich dieser nur lange genug hingibt, vielleicht redet man irgendwann selbst so dummes Zeug wie Guido Westerwelle. Etwa so: Dieser Satz kein Verb. Weil das ja klar ist. Oder: Dieser Satz enthält genau ein unverständliches Flitzpüh. Was wäre die Welt nur ohne ihre Metaebenen! Und wer schreibt eigentlich jetzt meine Glosse? (mh)

DAS_PROJEKT

Was die von der SZ machen, können wir auch. Warum nicht selbst 'Streiflichter' schreiben? Die BONBONNIÈRE musste also her - der Spielplatz für Gelegenheitsweltliteraten. Eine Dose voller Bon[n]bons und Bon[n]mots, jeden Freitag neu, verfasst von überambitionierten Autorinnen und Autoren aus Bonn und der Welt.

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Zuletzt aktualisiert: 21. Mai, 18:17

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